Derzeit ist Pride-Zeit. Der Christopher Street Day
(CSD) wird gefeiert und damit wird an die Aufstände von Transgender, Lesben,
Schwulen und Bisexuellen im Juni 1969 in Greenwich Village in New York gedacht.
Was mit einem Aufstand begann, ist heute zur Parade geworden – auch in der
Schweiz. Der Stonewall-Riot wurde zur Pride-Parade. Eine „Parade des Stolzes“,
die von den Medien gerne als schrill beschrieben und mit Drag Queens bebildert
wird. An der Kundgebung is party going on: ausgelassene Lesben, Schwule,
Bisexuelle, Trans*Menschen und Queers (kurz: LGBTQ) tanzen auf, neben und
hinter dröhnenden Lastwagen mit Bannern von sowohl politischen
LGBTQ-Organisationen wie auch von den angesagten Clubs. Dahinter fahren
sportliche Wagen einer global agierenden Kosmetikfirma, wo unter Werbeplakaten
begehrte Probierpackungen von Anti-Faltencrème für Männer und pastellfarbene
Beinrasierer verteilt werden. Die alljährliche Pride ist das ‚Homo’-Event und gilt im Mainstream (trotz des langjährigen
lesbischen Feminismus und trotz der derzeit aufblühenden Trans*Bewegung)
gemeinhin als männlich und schwul. Dieser Fokus soll hier etwas verschoben
werden, zunächst mit der Frage: „Was ist die Lesbe von heute?“ Eine Frage, die
mir anlässlich des letztjährigen „Lesbenkongresses“ der Lesbenorganistation
Schweiz (LOS) gestellt wurde und die mich seither beschäftigt hat.
Sexuelle
Avantgarde?
Was also ist „die Lesbe von heute“? Selbstverständlich
sind die Vorstellungen über Lesben in der breiten Öffentlichkeit anders, als
beispielsweise das Verständnis, das Lesben von sich selbst haben. Lesben
erscheinen – in den spärlichen Berichten über sie – in Mainstream-Medien als
normbefreit und avantgardistisch, die weder Feminismus noch
Gleichstellungspolitiken länger brauchen. So zum Beispiel im Magazin des
Tages-Anzeigers aus dem Jahr 2011 zum Thema „Liebe, Leben, Lesben“ (Das Magazin
2011).[1] Unter dem Titel „Liebesspielerinnen“ ist eine Fotoserie über junge
Lesben abgedruckt. Die Bilder portraitieren eine Freund_innen-Gemeinschaft, der
es um „Freundschaft, weite Reisen, tiefe Blicke und kleine Lieben“ (Das Magazin
2011: 32) geht, wie eine der abgebildeten Lesben zitiert wird. Es sind junge,
hippe Frauen, deren Fotos begleitet werden von belanglosen und anzüglichen
Textlegenden, die einen einen voyeuristischen Beigeschmack haben: „Claudia
(blond, Bild oben links) schmust mit Rosi“ (Das Magazin 2011: 35) oder „Yvonne
und Nadine (oben) lassen sich mal treiben“ (Das Magazin 2011: 35). Die Porträts
der Freund_innen-Gemeinschaft sollen die Kritik an der Monogamie in einem
anderen Artikel in der gleichen Magazin-Nummer unterstreichen. Sie stellen
junge Lesben in ihrer freizügigen Freund_innen-Gemeinschaft dar, frei von engen
Beziehungsnormen, denen – so das Editorial des Magazins – heterosexuelle Paare
unterworfen seien (Das Magazin 2011: 3).
Diese Lesben repräsentieren gemäss Magazin in Sachen
Liebe und Leben die heutige Avantgarde. Denn sie glauben nicht – wie die scheinbar
altbackenen Heteros – an die monogame Liebe, vielmehr reisen sie unbeschwert
als Freund_innen durch die Welt und durch die Liebe. Feminismus – der als
Oberthema dieser Magazin-Nummer fungiert –, scheint mit Lesben nichts zu tun zu
haben. Die normbefreiten jungen, dynamischen Lesben scheinen von ihrem
Lebensstil nur Vorteile zu ernten. Es ist keine Rede von Diskriminierung
aufgrund ihres Geschlechts, ihrer lesbischen Lebensweise oder von Homophobie.
L-Word
statt F-Wort?
Die Inszenierung der Lesben im TA-Magazin findet sein
Pendant in der US-amerikanischen TV-Serie „The L-Word“, in der Lesben die
Hauptrollen spielen. Die Serie ist wohl die berühmteste Lesbenserie und seit
der Erstausstrahlung im Jahr 2004 der Knüller unter Lesben. Ein Klick bei
Google und ich komme zum Titelbild der letzten Staffel. Die Aufmachung erinnert
an die Fotos der jungen, weiss aussehenden, sexualisierten Lesben im Magazin:
Die lesbischen L-Word-Charaktere sind auch hier chic, sexy, wohlhabend. Sie
sind die Sterne in den Träumen vieler Lesben - allerdings sind sie weit
entfernt von einer Durchschnittslesbe. L-Word wurde vielfach kritisiert, keine ‚lebensechten’
Lesben zu zeigen und so entstand „The D Word“[2], eine Parodie von L-Word, die
nicht respektable ‚Lesben’, sondern ‚Dykes’ wie Lesben im Englischen Slang abfällig
bezeichnet werden – männlich stilisierte Frauen, fettleibige Lesben, schwarze
und braune Lesben oder Prolo-Lesben – vor die Kamera bringt. Mit der gleichen
Motivation entstand eine weitere parodistische Adaptation, die „F-Word“[3]
heisst. F für Feminismus – der im Magazin so gar nicht mit den jungen Lesben in
Verbindung gebracht wurde.
In L-Word werden durchaus starke Frauen einem
lesbischen – und nota bene auch einem heterosexuellen, nicht zuletzt männlichen
– Publikum präsentiert. L-Word hat das Bild von Lesben in der
Mainstream-Wahrnehmung verändert. Die klischierte Vorstellung von der
beinbehaarten, hässlichen, wütenden ‚Kampflesbe’ oder ‚Mannsweib’ wurde
teilweise abgelöst durch die Lifestyle-Lesbe. Auch die Lifestyle-Lesben in
L-Word haben Feminismus nicht mehr nötig. Die Proklamierung der hippen und
erfolgreichen Lesbe wird in der Community der Lesben als Fortschritt in der
Anerkennung lesbischer Lebensweisen gedeutet. Aber sind Lesben durch TV-Serien
wie L-Word tatsächlich in der Mitte der Gesellschaft angelangt, und ist
Feminismus dadurch obsolet geworden? Wurde das F-Wort von L-Word abgelöst?
Wenn wir L-Word oder dem Magazin glauben wollen, sind
junge Lesben die normbefreiten und flexiblen Subjekte, „denen noch alle Möglichkeiten
des Lebens offenstehen“ (Das Magazin 2011: 36). In Zeiten des krisengeschüttelten
Neoliberalismus erscheint das als echtes Kapital. Lesben werden zu den
Gewinner_innen prekärer Zeiten stilisiert und damit zu Figuren der Hoffnung und
des Fortschritts.
Regenbogen-Mamis
nach vorne!
Lesben führen derzeit die Speerspitze im politischen
Aktivismus der LGBTQ-Community: An forderster Front werden Lesben den diesjährigen
CSD, pardon, die Pride anführen. Als Regenbogen-Mamis stehen sie beim diesjährigen
Pride-Motto „All Families Matter“ im Zentrum der Aufmerksamkeit. Zusammen mit
einigen Schwulen und Trans* fordern sie gleiche Rechte wie heterosexuell
lebende Eltern. Insbesondere Lesben ergreifen in den letzten Jahren vermehrt
die Initiative (inklusive deren Hürden), eine Familie zu gründen. Sie
erscheinen neuerdings oft als so genannte Regenbogen-Mamis, die für ihre Rechte
als Mütter einstehen. Sie fordern die Öffnung der Ehe, worin sie einen
Fortschritt in der Gleichberechtigung von LGBTQ sehen.
Da sträuben sich alle (Bein)Haare von lesbischen
Feminist_innen, die in den 1970er und 1980er Jahren sozialisiert worden sind.
Damals forderten sie die Abschaffung der Ehe, weil sie patriarchale
Herrschaftsverhältnisse aufrecht erhalten würde. Heute verbünden sich Lesben
kaum wie in den 1970er und 1980er Jahren mit Abtreibungsbefürworter_innen gegen
die (neuerdings wieder aufkommenden) sogenannten „Lebensschützer_innen“,
sondern werden selber Mamis – Regenbogen-Mamis, die heiraten wollen. Das
Anliegen, als ‚normale’ Familie behandelt zu werden, ist zwar aufgrund der
misslichen Rechtslage für so genannte „Regenbogenfamilien“ legitim und wichtig
und macht den Schulterschluss mit der patriarchalen Institution der Ehe verständlich.
Doch bringt er tatsächlich Gleichberechtigung? Mit kritischem Blick liesse sich
fragen: Warum muss zuerst geheiratet werden – oder die gleichgeschlechtliche
Partner_innenschaft eingetragen werden – bevor Eltern und Kinder als solche
rechtlich anerkannt werden können? Und wie kann verhindert werden, dass die
Forderung nach der Öffnung der Ehe die rechtliche Anerkennung von Familien mit
mehr als zwei Eltern verunmöglicht?
Queer-feministische
Bündnispolitik!
Lesbische Lebensweisen als normbefreit, sexualisiert
und dynamisch zu stilisieren ist eine Folge eines Neoliberalismus, der Diversität
und vielmehr noch Dissidenz zwecks Kommerzialisierung vereinnahmt. Alternative
Lebensweisen werden neuerdings nicht mehr alleine als Abweichung
marginalisiert. Die Abweichung von der Norm dient vermehrt als Ressource für
einen Kapitalismus, der flexibilisierten Subjekte als Systemressource benötigt.
Und dennoch: Das diesjährige Motto der Pride könnte – neben der Vermarktung von
Schönheitsprodukten, was bei dem diesjährigen Pride-Motto wohl mit
Babyprodukten ergänzt wird, und dem ausgelassenen Tanzen – Anlass sein, über
neue Formen von Politik nachzudenken. Ich plädiere an dieser Stelle dafür,
utopische Formen queer-feministisches Lebens zu entwerfen. In einer solchen
Utopie würde Gleichberechtigung nicht Gleichheit bedeuten. So würden ‚wir’
keine kommerziell vermittelte Anpassung verfolgen, sondern eine Politik der
strategischen Anpassung wählen. Das Ziel soll es nicht sein, der
flexibilisierten Normalisierung zu entsprechen. Denn ‚wir’ wollen doch nicht
einfach so schön und reich sein wie die L-Word-Figuren. ‚Wir’ wollen es auch
nicht ins TA-Magazin ‚schaffen’, um dort als avantgardistische „Liebesspielerinnen“
anzüglich abgebildet zu werden. Noch wollen ‚wir’ als ‚normale’ Kleinfamilie
die vielfältigen Kreationen von Familie verdecken.
Das Ziel wäre es vielmehr, die Vielfältigkeit
queer-feministischen Lebens wertzuschätzen und dafür einzustehen, dass nicht
alleine neoliberal passungsfähige Vielfalt gelebt werden kann. Dazu würden sehr
wohl auch Glamour-Lesben gehören, Zwei-Eltern-Regenbogenfamilien oder umwerfend
aussehende Liebesspieler_innen. Darüber hinaus würden jedoch auch Lesben in
pflegebedürftigem Alter, behinderte gleichgeschlechtlich Liebende, Trans*Lesben,
Lesben, die von der Sozialhilfe leben, fettleibig sind, lesbische Migrant_innen
oder Lesben, die gehörlos sind und dazu vielleicht noch SM-Sexualität
praktizieren, gleichberechtigt Platz finden. In einer queer-feministischen
Vision von Politik ginge es um die Ermöglichung der Verschiedenheit in all
ihren Facetten ohne eine allzu nahtlose Einverleibung in das kommerzielle
System eines Kapitalismus der Diversität.
* Yv Eveline Nay ist Soziolog_in und Geschlechterforscher_in am Zentrum Gender Studies der
Universität Basel und an der Columbia University in New York. Nay hat unter
anderem zur Geschichte frauenliebender Frauen und Lesben in Graubünden
geforscht und untersucht derzeit im Rahmen eines Nationalfonds-Forschungsprojekts
gleich- und trans*geschlechtliche Familien in der Schweiz. Nay ist zudem
aktivistisch in verschiedenen queer-feministischen Zusammenhängen eingebunden.
[1] Das Magazin 2011, Heft Nr. 40. Tamedia AG: Zürich.
[2] Siehe
http://www.thedword.com (zuletzt eingesehen am 21.05.2013).
[3] Siehe
http://www.faithsoloway.com/fword.html (zuletzt eingesehen am 21.05.2013).
http://zora-z.tumblr.com/post/53969471084/freund-innenschaften-und-heterosexismus
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