Dienstag, 24. August 2010

„Drittes Geschlecht“ in Indien juristisch anerkannt

Bei der Beantragung indischer oder pakistanischer Pässe kann neu nicht nur „male“ oder „female“ angekreuzt werden, sondern auch „other“ bzw. „e“ für „eunuch“, berichtet die NZZ heute.

Bei diesen – zugegebenermassen etwas unbeholfen – als „andere“ bezeichneten Menschen handelt es sich um so genannte Hijras: meist biologische Männer, die als Frauen leben und das „dritte Geschlecht“ genannt werden. Das Phänomen der Hijras ist von Ambivalenz durchdrungen: Einerseits werden sie in der ethnologischen Literatur oftmals als Intersexuelle verstanden. Anderseits leben in Indien fast ausschliesslich biologische Männer, die wenig entwickelte männliche Genitalien aufweisen, impotent sind, als Transvestiten leben oder Männer, die eine „passive“ homosexuelle Rolle einnehmen in der Hijra Gemeinschaft. Nur in seltenen Fällen werden auch biologische Frauen aufgenommen und wenn, dann Frauen, die nicht menstruieren.

Die Mehrheit der Mitglieder lässt sich in einem sakralen Ritus kastrieren und wird durch diesen Akt in die Gemeinschaft der Hijras aufgenommen (wobei eine Aufnahme aber auch ohne Kastration möglich ist). Diese „Männer“ opfern damit ihre „Männlichkeit“ und werden gleichzeitig selbst geheiligt. Der Aspekt des Göttlichen vermischt sich hier mit dem Verständnis der Hijras als Intersexuelle. Dieser sexuellen Ambivalenz kommt auch in der indischen Mythologie eine spezielle Bedeutung zu und besitzt in der indischen Gesellschaft einen fest umrissenen sozialen, rituellen und spirituellen Status. So wechseln dort beispielsweise auch die Götter und Göttinnen ihr biologisches Geschlecht.

Renate Syed, Indologin, die zurzeit an einem Buch über die Hijras Indiens und Pakistans schreibt zur aktuellen Entwicklung:

Indiens und Pakistans Hijras kämpfen um ihre Rechte. In Indien übernehmen sie zunehmend politische Ämter, und auch in Pakistan treten sie aus dem Schatten; das Internet und die Vernetzung mit Gleichgesinnten in der ganzen Welt eröffnen ihnen Perspektiven und Kontakte. In Pakistan ist es unter anderen die Hijra Bobby, die mit ihrer Organisation SheMaleAssociation für die Rechte der Gemeinschaft kämpft. Es darf aber auch nicht übersehen werden, dass die Registrierung als «E» (eunuch) bzw. «other» auch die Möglichkeit einer Kontrolle durch den Staat bedeutet, der seine Hijras nun genauer kennt als zuvor. Der alle zehn Jahre in Indien wie in Pakistan erhobene Zensus zählte die Hijras bisher nicht gesondert, sondern führte sie entsprechend ihrem bei der Geburt registrierten Geschlecht als «male». Ab 2021 wird das «dritte Geschlecht» voraussichtlich in den Erhebungen erscheinen, und das erste Mal in ihrer Geschichte werden Indien und Pakistan wissen, wie viele Hijras in ihren Ländern leben.


Es stellt sich auch die Frage, ob durch die Existenz der Hijras das dichotome Geschlechtermodell überhaupt dekonstruiert oder zumindest in Frage gestellt wird. Denn obwohl ein sozialer (und spiritueller) Handlungsspielraum für das Geschlecht der Hijras existiert, handelt sich in dieser sozialen Gruppe um die Koexistenz zweier Geschlechtermodelle und um eine Verbindung der heterosexuellen, dominanten Kultur und einer homosexuellen, auf sexueller Ambivalenz beruhenden Subkultur. Deswegen liesse sich mit diesen Überlegungen im Hinterkopf deshalb fragen, ob der Begriff des „dritten Geschlechts“ hier überhaupt angebracht erscheint.

Um (Teil-)Antworten auf diese Frage zu finden ist der 2005 in Indien von Thoma Hartmann gedrehte Dokumentarfilm „Between the Lines – Indiens drittes Geschlecht“ zu empfehlen.

3 Kommentare:

  1. Es stellt sich insbesondere die Frage, wie man Geschlecht überhaupt definiert. Mann und Frau lassen sich als Kategorien sinnvoll von einander abgrenzen. Aber die Zwischenformen im Bereich der Intersexualität sind zwar nur ein sehr geringer teil der Bevölkerung (ca. 2%) aber so vielfältig, dass hier eine Abgrenzung wohl nur in Stufen zu den Hauptgruppen Männlich und weiblich erfolgen kann. Deswegen hat Fausto-Sterling ihre weiteren 3 Bezeichnungen ja nach Prostesten der Intersexuellen auch zurückgezogen.

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  2. @Christian: Du musst aber auch fragen, was diese „sinnvolle Abgrenzung“ beinhalten würde. D.h. wann sie „sinnvoll“ wäre und was denn den „Sinn“ ausmachen würde. Realität ist nämlich, dass gemäss einem westlichen Denksystem (Derrida) zwei binäre Kategorien, die sich gegenseitig ausschliessen, konstruiert werden. So werden vermeintliche Gegensätze gebildet, die nichts „dazwischen“ oder „darüber hinaus“ erlauben. Die Teile der Begriffspaare nicht gleichwertig, sondern asymmetrisch und hierarchisch geordnet(aktiv/passiv, Kultur/Natur, Geist/Körper). Viel „Sinn“ existiert da nicht – ausser vielleicht, Ausgrenzungsmechanismen zu legitimieren und Hierarchien zu festigen.

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  3. Jeder Mensch sollte das recht haben ohne das sich jemand einmischen von dritten auch sich von seinem Geschlechtsteil zu trennen. Eine Kastration Hodenentfernung von Fachärzten ist in 15-20 minuten ambulant ausgeführt. Bereits nach 2-3 Std. geht man nach hause und kann ab 3 tag schon wieder seine arbeit nachgehen.

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