Es ist ein Gemisch aus Halbwahrheiten, Spekulationen und Verschwörungstheorien, das derzeit über den bereits im August von der schwedischen Staatsanwaltschaft erlassenen Haftbefehl gegen Assange kursiert. Dass er am Ende wegen Vergewaltigung und sexueller Belästigung von Interpol gesucht wurde und nicht wegen der vielen veröffentlichten Geheimdokumente, wollen vor allem viele Internet-Aktivisten nicht glauben.
Die Fans des Whistleblowers, der nach der Veröffentlichung der Berichte aus den US-Botschaften zu einer Art Weltstar geworden ist, sind unermüdlich damit beschäftigt, Beweise für die Unschuld ihres Idols zu suchen. Und so können selbst obskure schwedische Maskulisten-Blogs oder Verschwörungstheoretiker-Foren massenhaft mit internationalen Besuchern rechnen, ¬solange die Einträge über bösartige Feministinnen oder finstere Mächte, die Schweden regieren, in Englisch gehalten sind. Selbst in winzigsten deutschen Blogs findet man mittlerweile flammende Anklagen gegen das schwedische Rechtssystem, das langjährige Gefängnisstrafen für ungeschützten Geschlechtsverkehr vorsehe sowie detaillierte Erläuterungen der schwedischen Gesetze.
Intelligentes zu Wikilieaks hat in diesem Zusammenhang auch Anne Roth zusammengestellt: Einen Radiobeitrag über die Diskussionen um die „Abschaffung des Rechtsstaates“, einen Beitrag über das „Symposium about Wikileaks and Internet Freedom“ und die – thematisch gänzlich anders gelagerten aber trotzdem im selben Atemzug ganennten und heiss diskutierten – Vergewaltigungsvorwürfe gegen Herr Assange.
Mit diesen befasst sich ebenfalls Antje Schrupp resp. sie schreibt über Julian Assange und die wild gewordenen Feministinnen und die Vergewaltigungsvorwürfe, die ihrer Ansicht nach „(…) weniger mit Feminismus zu tun (haben) als mit dem schwedischen Staatsverständnis und mit der dortigen Vorstellung, dass alles, was eine Gesellschaft kulturell und moralisch für richtig oder falsch hält, von Staats wegen durchgesetzt gehört. Während man in Deutschland „dem Staat“ gegenüber, aus historischen Gründen, im Allgemeinen eher skeptisch eingestellt ist, sehen die meisten Schwedinnen und Schweden den Staat positiv: nicht als Gegenpart zum „Bürger“, sondern als legitimen verlängerten Arm ihrer selbst.“ Das Piratenweib spricht gar von pubertären Fans, die ihren Pseudohelden gefunden hätten - aber was heisst das genau?
DieStandard meint:
Wird ein Prominenter der sexuellen Nötigung beschuldigt, folgt die Hetzkampagne auf dem Fuß - Diesmal gegen ein ganzes Land und sein Sexualstrafrecht. Das Gesetz in Schweden geht zu streng gegen Sexualstraftaten vor. Jedenfalls scheint das ein Resümee zu sein, das vielerorts aus den aktuellen Ereignissen rund um Wikileaks-Gründer Julian Assange gezogen wird. Dieser wurde von zwei Frauen der sexuellen Nötigung beschuldigt, was sich eben in Schweden ereignet haben soll. Es ist beängstigend, mit wie viel Spott und Hohn über die strafrechtliche Verfolgung von Sexualdelikten geurteilt wird. Das Credo lautet: Vorsichtshalber wird diffamiert. Üblicherweise sind es einzelne Frauen, die prophylaktisch lächerlich gemacht werden, im Fall der Vorwürfe gegen Julian Assange machte man sich auch gleich über ein Land und sein Sexualstrafrecht lustig, ohne genaueres zu wissen oder wissen zu wollen.Eine Gruppe, die zum besagten "Spott und Hohn" (und damit der Verharmlosung sexueller Gewalt) beiträgt ist die IG Antifeminismus, sie schreibt:
Die Klage gegen Julian Assange ist für eine Klägerin, Anna Ardin, nicht die erste Klage wegen sexueller Belästigung. Nach einem Vortrag über Gleichstellung an der Universität Uppsala soll ein Student ihr eine SMS geschickt haben. Ardin sah darin eine «typische männliche Technik», um sie sexuell herabzusetzen – und zeigte ihn an. Obwohl er sich daraufhin entschuldigte, zog sie die Klage nicht zurück. Nicht Wikileaks-Gründer Assange gehört hinter Gitter, sondern solche Männerhasserinen, welche die Justiz beschäftigen.Je mehr wir recherchierten, desto Grausligeres fanden wir... Schockierend waren aber nicht nur die wirren Maskulistenseiten (die sich nun nicht mehr lediglich mit Kachelmann solidarisieren können, sondern auch mit Herrn Assange - und zwar unabhänig der Tatsache, dass "die Wahrheit" kaum herauszufinden ist) sondern z.B. auch "20 Minuten - sie bezeichnen die Anschuldigungen gegenüber Assange schlicht und einfach als "Zickenkrieg".
Um nicht ganz den Mut zu verlieren empfehlen wir schliesslich wärmstens den Text von Naomi Wolf. Denn sie schreibt klipp und klar über die doppelten Standards, mit welchen Grossbritannien und die USA im "Vergwaltigungsfall Assange" zu hantieren scheinen. Unbedingt lesen!
Anyone who works in supporting women who have been raped knows from this grossly disproportionate response that Britain and Sweden, surely under pressure from the US, are cynically using the serious issue of rape as a fig leaf to cover the shameful issue of mafioso-like global collusion in silencing dissent. That is not the State embracing feminism. That is the State pimping feminism.
Bildquelle (Joe Raedle/Getty Images)
"Was schreibe ich nur über Julian Assange?" hat sich heute auch die Mädchenmannschaft gefragt - nun, scheint uns allen irgendwie ähnlich zu gehen: http://maedchenmannschaft.net/was-schreib-ich-nur-uber-julian-assange/
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